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Beitrag vom 03.08.2005
Allein
Danielle Daum
Thomas Durchschlags Spielfilmdebüt ist das Porträt einer jungen Frau, deren Leben geprägt ist von der Sucht nach Nähe, von Exzessen mit Sex, Tabletten, Alkohol und dem Hang zur Selbstzerstörung.
Die junge Studentin Maria (Lavinia Wilson) schläft in einen sonnigen Tag hinein und die leeren Wodkaflaschen, die sich neben ihrem Bett häufen, lassen noch nicht ahnen, daß hier gleich die Geschichte einer Selbstdestruktion erzählt wird.
Maria leidet unter dem Borderline-Syndrom. Sie kennt keine Grenzen und erträgt keine Zurückweisung und Alleinsein. Von Sicherheit oder dauerhaften Bindungen ist in ihrem jungen Dasein nichts zu spüren. Sie kann ihre Gefühle nicht kontrollieren, läßt Emotionen nicht an sich ran. Auf der anderen Seite sehnt sie sich nach Nähe, kompensiert diese Sehnsucht durch sexuelle Exzesse, Tabletten, Alkohol und dem Schneiden mit der Rasierklinge ins eigene Fleisch. Aus Angst vor dem Alleinsein läßt sie sich immer wieder auf den Jahre älteren Wolfgang (Richy Müller) ein, der ihre Schwäche ausnutzt. Mit ihrer einzigen Freundin Sarah (Victoria Mayer) führt Maria leere Dialoge: "Is´ irgendwas?", "Nö, wieso?", "Keine Ahnung.". Marias Unfähigkeit zu kommunizieren ist der Spiegel ihrer Unfähigkeit zu leben. Natürlich "is´ was", auch wenn Maria versucht, es vor ihrer Freundin zu verheimlichen.
Eines Tages lernt sie den Medizinstudent Jan (Maximilian Brückner) kennen und bemerkt, dass diese Beziehung anders ist als die bisherigen. Zum ersten Mal spürt Maria Halt und Geborgenheit. Zwar bricht sie schließlich sogar die Beziehung zu Wolfgang ab, doch aus dem Wunsch heraus, ihre instabile Lebensweise vor Jan zu verbergen, verschweigt sie ihm ihr Innerstes und stellt so sein Vertrauen auf eine harte Probe.
Das Potential des Films steckt in dem Gegensatz von Oberflächlichkeit und emotionaler Tiefe seiner Hauptfigur. Mit einer beeindruckenden schauspielerischen Präsenz schwankt Lavinia Wilson in ihrer Rolle zwischen diesen beiden Extremen. Von einer Sekunde auf die andere wechselt ihr Gesichtsausdruck von unbeschwerter Leichtigkeit zu maskenhaften Starre, Geborgenheit schlägt abrupt in Mißtrauen, Freundlichkeit in blinde Wut um. Für diese schauspielerische Leistung wurde Lavinia Wilson auf den letzten Hofer Filmtagen ausgezeichnet.
Einer Herausforderung ganz anderer Art stellte sich die junge Schauspielerin erst vor kurzem. "Allein" wurde bei einer Informationsveranstaltung zum Thema Borderline-Syndrom vorgestellt. "Ich hatte ziemlich viel Schiß davor", gesteht sie und erzählt weiter: "Viele hatten nach dem Film Tränen in den Augen und jemand kam zu mir und sagte, er habe sich gerade im Spiegel gesehen".
AVIVA-Tipp: "Allein" ist ein ambitionierter Film über die Sehnsucht nach sich selbst und die Gefahr, an der eigenen Person und Umwelt zu scheitern. Dank der brillanten Hauptdarstellerin gerät eine allzu vorhersehbare Geschichte zu einer beeindruckenden Charakterstudie, die den Zuschauer in ein Wechselbad der Gefühle stürzt.
Allein
Regie: Thomas Durchschlag
DarstellerInnen: Lavinia Wilson, Maximilian Brückner, Richy Müller, Victoria Mayer u.a.
Deutschland 2004
Dauer: 88 Min.
Verleih: Zorro Film, Vertrieb: Filmwelt
Kinostart: 28.07.2005